Gastbeitrag der stellvertretenden SPD-Parteivorsitzende Klara Geywitz
Wie viele Abgesänge konnte man in den letzten Monaten über die älteste deutsche Partei lesen! Der SPD, seit 157 Jahren Kämpferin für Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität, geht es so schlecht wie schon sehr lange nicht mehr. Das ist leider wahr, und die Gründe sind vielfältig.
Aber gebraucht wird sie, die alte Tante SPD. Denn nicht alle Parteien, die die Freiheit im Namen führen, verfügen offensichtlich über dieselbe politische DNA wie die Sozialdemokraten. „Links und frei“ ist keine leere Formel. Unser Kampf gegen das Autoritäre liegt tief in unserem Wesen. Und unser Kompass funktioniert. Die Woche von Erfurt hat gezeigt, was das konkret bedeutet. Ein Mitglied der Freien Demokraten wurde mit den Stimmen der AfD, allen Warnungen zum Trotz, zum Ministerpräsidenten Thüringens gewählt. Die Reaktionen der Parteien hätten nicht unterschiedlicher sein können. Christian Lindner, Chef der dem Namen nach Liberalen, fand eine Unterstützung der autoritären AfD erstmal nicht schlimm, dann doch. Sein MP wollte erst im Amt bleiben, dann zurücktreten und dann noch ein Weilchen bleiben. Auch die CDU, die geschlossen wie die AfD gestimmt hatte, musste eine Weile mit sich ringen, ob sie sich zu ihrem Irrweg bekennen wollte oder sich doch noch eine Ausflucht finden könnte.
Dabei war Historisches geschehen. Der Nachkriegskonsens der Bundesrepublik war gebrochen. Erstmals hatten Rechtsradikale wieder direkten Einfluss auf die Regierungsbeteiligung.
Die SPD brauchte keine lange Denkpause. Sie hat sofort reagiert und einen Koalitionsausschuss einberufen. In dessen Ergebnis war drei Tage später nicht nur klar, dass der Kurzzeit-MP zurücktritt und es möglichst rasch Neuwahlen gibt. Der wichtigste Erfolg war aus meiner Sicht das gemeinsame klare Bekenntnis von SPD, CDU und CSU: „Regierungsbildungen und politische Mehrheiten mit Stimmen der AfD schließen wir aus. Das ist und bleibt Beschlusslage der die Koalition tragenden Parteien für alle Ebenen.“ Was für die SPD eine Selbstverständlichkeit ist, dürfte für die CDU-Bundesvorsitzende erhebliche Kraftanstrengungen erfordern. Doch gerade vor künftigen Wahlen in Ostdeutschland ist es wichtig, dass auch die Volkspartei CDU sich in allen Landesverbänden deutlich von der AfD abgrenzt.
Aber wir Sozialdemokraten sind mehr als ein Korrekturfaktor. Unser Anspruch war und ist es, das Land und den Fortschritt zu gestalten. Dies erfordert immer wieder neue Ansätze, und angesichts einer ungekannten Komplexität und Geschwindigkeit des Wandels ist es für alle Menschen – Unternehmer, Gewerkschafter, Arbeitnehmer, Bürger und Parteien – schwierig geworden, Schritt zu halten und Orientierung zu geben. Wir Sozialdemokraten müssen uns dieser Aufgabe wieder stellen. Vertrauen und Kompetenz sind zwei Seiten derselben Medaille. Nur wenn wir an unseren inhaltlichen Kompetenzen arbeiten, werden wir wieder Vertrauen gewinnen. Das ist kein Plädoyer für professorale Politik. Die SPD war als Programmpartei nur mehrheitsfähig, wenn ihr Führungspersonal auch emotionale Bindekraft entwickelte. Aber Emotionen ohne Programm sind erst recht nicht mehrheitsfähig – hoffentlich. Denn das ist das Programm der Populisten.
Einige Aufgaben liegen direkt vor uns. Noch immer hängt der Bildungserfolg von Kindern vom Status der Eltern ab, noch immer ist es leichter, mit der klugen Anlage seines Kapitals Geld zu verdienen als mit der eigenen Arbeit. Noch immer gibt es viele, bei denen am Ende des Geldes viel Monat übrig ist und wenige, die immer reicher werden. Deutschland braucht nach wie vor eine Partei, die sich für Gerechtigkeit einsetzt. Software-Programmierer, Social-Media-Betreuer und Paketboten als Dienstleister des digitalen Zeitalters müssen genauso vor Ausbeutung geschützt werden, wie dies in der klassischen Industrie der Fall ist. Und wir müssen den Wandel der Arbeitswelt so begleiten, dass jeder eine Chance auf Qualifizierung und Weiterbildung hat. Die Aufgabe der SPD ist es nicht, die Veränderung zu verhindern, sondern die Verhältnisse zum Wohle der Menschen zu verbessern – mit dem Ziel, dass alle Menschen gut zurechtkommen können. Auch in der 20 und 30 Jahren brauchen wir starke Vertretung der Arbeitnehmerinteressen. Die Solidarität in der Gesellschaft kann und wird mit der SPD nicht der Globalisierung und Digitalisierung zum Opfer fallen. Die Idee der Sozialdemokratie bleibt immer jung. Das ist meine Botschaft an alle Sozialdemokraten, die gerade mit ihrer Partei hadern. Noch immer sind wir eine Gemeinschaft von mehr als 400.000 Menschen mit unzähligen ganz unterschiedlichen Erfahrungen, Kenntnissen und Kompetenzen. Das ist ein großer Schatz. Wir sind eine der stärksten Bürgerbewegungen des Landes. Wir waren immer wieder die Partei, die das Ganze im Blick behielt und in der Lage war, Brücken in die unterschiedlichen Bereiche der Gesellschaft zu bauen. Dies ist in den neuen Zeiten von Social-Media-Filterblasen wichtiger denn je. Die SPD muss nur wieder erkennen, was in ihr steckt. Mit Neugier auf die Zukunft und dem Willen zur Gestaltung können wir es schaffen, uns neu zu erfinden und wieder viel mehr Menschen an uns zu binden.
Bild: Thomas Imo – Photothek